Pester Lloyd, German Daily News for Hungary and East Europe

      „Man überlebt nicht, wenn man Fehler macht“

        Interview with Rosemarie Keough January 2007

Bis letzte Woche war im Naturhistorischen Museum Budapest die atemberaubende Foto-Ausstellung „Antarctica“ zu sehen (wir berichteten). Jahrelang verbrachte die Fotografin Rosemarie Keough mit ihrem Mann Pat für diese Aufnahmen in der Antarktis. Das Ergebnis war der neun Kilogramm schwere Bildband „Antarctica – Volume 1“. Letzte Woche stattete die 47-jährige Kanadierin mit deutschen und ungarischen Wurzeln der Hauptstadt Ungarns persönlich einen Besuch ab. Wir sprachen mit ihr über ihre Arbeit, ihre schwere Krankheit und ihre Pläne für die Zukunft.

Mrs. Keough, können Sie in ihrer Eigenschaft als Fotografin eigentlich entspannt durch die Straßen gehen, oder sehen Sie in jeder Straßenecke ein gutes Foto?

Das tue ich. Hier in Budapest ist es schon manchmal frustrierend, weil ich immer wieder Dinge sehe, für die ich gerne vielleicht zwei Tage verbringen, auf das richtige Licht warten würde, um ein interessantes Foto zu schießen. Aufgrund meiner Verpflichtungen ist das leider nicht möglich. Aber ich trage immer zwei Kameras bei mir. Eine davon ist eine kleine Digitalkamera mit der ich von interessanten Personen oder Gebäuden, Fotos mache, um die Eindrücke später mit meiner Familie teilen zu können. Sehe ich etwas besonders Atemberaubendes, dann bleibe ich stehen und nehme es mit meiner Filmkamera auf. Ich muss einfach fotografieren, das ist für mich wie atmen.

Welche Intention verfolgen Sie mit Ihrer Fotografie?

Dahinter steckt eine Lebensanschauung, über die ich selbst viel nachgedacht habe. Ich mag zwar gesund wirken, aber ich habe diese womöglich tödliche Krankheit Brustkrebs. Hoffentlich habe ich noch viele Jahre, aber man weiß es nicht. Mein Mann kämpft seit über zehn Jahren gegen Multiple Sklerose. An diesem Punkt meines Lebens möchte ich Kunst schaffen, die den Leuten ein gutes Gefühl und gute Laune vermittelt, und ihnen hilft, Probleme, seien sie familiärer, gesundheitlicher oder finanzieller Art, für einen Augenblick zu vergessen. Ich möchte in meinem Leben die Schönheit, die ich in mir selbst über diese Welt empfinde, teilen. Mir geht es darum, das Positive hervorzuheben.

Sie haben von 1999 bis 2001 während der jeweils sechsmonatigen Licht-Periode in der Antarktis gelebt und gearbeitet. Wie haben Sie sich auf die Expedition vorbereitet?

Wir sind Kanadier, haben viel Zeit im Norden Kanadas verbracht. Wir waren gewohnt bei Eis, Schnee und Frost zu arbeiten und wussten, wie unser Kamera-Equipment bei extremer Kälte zu schützen und zu behandeln ist. Von 1999 bis 2001 haben wir sämtliche Expeditionen von Wissenschaftlern, Touristen und Bergsteigern in die Antarktis recherchiert und einen Plan von denjenigen erstellt, denen wir uns gerne anschließen wollten. Wir haben die Organisatoren kontaktiert, ihnen von unserem Projekt erzählt und dass wir gegen Geld an ihren Expeditionen teilnehmen möchten. So sind wir an die verschiedenen Orte gekommen. Außerdem mussten wir sicher gehen, dass wir, mein Mann, ich und unser damals 7-jähriger Sohn, der uns begleitet hat, alles Nötige bei uns haben. Deshalb haben wir eine genaue Liste darüber geführt, was wir an Ausrüstung schon haben und was noch erforderlich ist. Über sechs Monate haben wir alles in unserem Studio gesammelt und nach und nach von der Liste gestrichen.

Wie haben Sie das ganze finanziert?

Mit unserem eigenen Geld. Wir hatten das Glück, Immobilien verkaufen zu können. Das ganze Geld daraus und noch mehr haben wir in dieses Projekt gesteckt, weil wir daran geglaubt haben und wir haben es geschafft. Dieses Buch ist ein Kunststück geworden, ein Werk. Man wird es in einer Kunstgalerie finden und nicht in einem Buchgeschäft.

Sind Ihre Fotografien vorwiegend Schnappschüsse oder das Ergebnis langwieriger Vorbereitungen?

Sowohl als auch. Mit der Aufnahme eines männlichen Albatrosses, dem an seinem Schnabel ein Regentropf herunter läuft (s. Foto), haben wir zum Beispiel einen Tag zugebracht. Wir waren etwa neun Meter von ihm entfernt und mein Mann hielt den Regenschirm - um die Kamera trocken zu halten. Wir haben ihn die ganze Zeit beobachtet und fotografiert, damit wir irgendwann den richtigen Moment erwischen. Um scharf zu werden, brauchte das Bild eine Belichtungszeit von zwei Sekunden. Doch innerhalb von zwei Sekunden atmet der Vogel, er bewegt sich, so dass das Bild verwackelt wäre. Aber zwischen Ein- und Ausatmen des Vogels entstand eine ganz kurze Pause – und das war der Moment, in dem uns das Foto gelungen ist.

Gerieten Sie in lebensgefährliche Situationen?

Die Leute wollen immer hören, dass man dem Tod nur knapp entronnen ist. Das ist aber nicht der Fall. Man überlebt in der Antarktis nicht, wenn man Fehler macht. Du bist mental auf Überleben eingestellt. Kritische Situationen muss man vermeiden, sonst stirbst du entweder oder du setzt viel Geld und vielleicht das Leben anderer aufs Spiel, um dich zu retten.


Verfolgen Sie mit Ihrer Arbeit auch einen wissenschaftlichen Aspekt?

Unser Antrieb ist Kunst, aber Leute sehen unterschiedliche Dinge in ihr. Glaziologen zum Beispiel schätzen unser Buch sehr, weil wir jeden Zustand von gefrorenem Meereswasser und seinem Zerbrechen abgebildet haben. Auch bekam ich Anrufe von Wissenschaftlern aus Neuseeland und Kalifornien. Wir haben Bilder eines Killerwals, von dem man bisher aufgrund seiner Zähne ausging, er esse nur Fisch. Nun zeigen unsere Bilder ihn auf der Jagd nach Pinguinen. Das Interesse von Wissenschaftlern, Säugetierforschern oder Botaniker an unseren Bildern zielt eher auf ein kleines Detail. Wir verfolgen aber eine holistische Sichtweise.

Wie sieht es jetzt mit dem Verdienst aus?

Alle Einnahmen aus dem Buch gehen an die Kampagne „Rettet die Albatrosse“. Der einzige Verdienst für uns sind eifrige Sammler, die unser nächstes Buch kaufen werden. Unsere Arbeit ist nicht monetär motiviert. Wir sehen in uns mehr die Künstler als die Geschäftsleute.

Für ihr Werk „Antarctica“ haben Sie bisher unzählige Preise erhalten. Sind Ihnen Auszeichnungen wichtig?

Sie bedeuten uns sehr viel! „Antarctica“ ist für uns zu einer Leidenschaft, gar zu einer Besessenheit geworden. Wir haben so viel Zeit investiert und sehr viel Geld, das Geld unsere Kinder, Enkel und Urenkel, hineingesteckt (lacht). Das Projekt beinhaltet so viel von uns selbst, unseren Gefühlen und unserem Leben, weil wir daran geglaubt haben. Die Auszeichnungen sind eine Bestätigung dafür, dass der ganze Aufwand für dieses eine Projekt gerechtfertigt war.

Wann haben Sie erfahren, dass Sie an Brustkrebs leiden?

Ich hatte alle zwei Jahre eine Mammografie machen lassen. Im November 2005 zeigte diese einen verdächtigen Klumpen. Dann wurde eine Biopsie durchgeführt. Als wir zwei Wochen später von einer Reise in die Slowakei zurückkamen, erhielten wir die Nachricht, dass ich Brustkrebs habe. Im Dezember hatte ich dann die Operation, eine Lumpektomie, und im Januar startete meine Chemotherapie, bei der ich Medikamente bekam, wo dir sämtliche Körperhaare ausgehen. Mir geht es gut, aber um ganz sicher zu gehen, dass ich keinen neuen Krebs bekomme, werden mir im Sommer meine Brüste entfernt. Ich blicke hoffnungsvoll in die Zukunft. Ich lebe damit, wie viele andere Menschen damit auch leben müssen.

Inzwischen stecken Sie wieder mitten in Arbeit. Worüber wird Band Zwei sein?

Es heißt „The Inside Passage“. Dafür werden wir dieses Jahr ab April bis Dezember von Alaska bis hinunter nach Seattle/Washington reisen und fotografieren. Zurzeit verbringen dort an der Mündung des Skagit Flusses 55.000 Schneegänse den Winter. Normalerweise leben sie auf Wrangel Island in Russland, wo sie brüten. Als einzige Schneegans-Population kommen sie von Asien nach Nordamerika. Da sie in „The Inside Passage“ fliegen, werden sie Teil unseres nächsten Buches sein. Im Gegensatz zu der Antarktis, wo es keine Ureinwohner gibt, werden in diesem Band auch Ureinwohner und ihre Kultur eine Rolle spielen. 2007 werden wir die Topographie dafür vervollständigen, 2008 designen und schreiben wir dann das Buch und 2009, spätestens aber 2010 soll es veröffentlicht werden.

Ist „Antarctica“ überhaupt zu toppen?

Schauen wir mal (lacht).Als Buch wird „Antarctica“ kaum zu übertreffen sein. Aber ich würde dafür gerne mit anderem Papier experimentieren, diesmal unterschiedliches Papier verwenden. Ich war in London, um Philip Smith, einen der besten Buchbinder-Designer überhaupt, zu treffen. Mein Mann und ich werden eventuell mit ihm zusammen an unserem neuem Buch arbeiten. Vielleicht werden wir von einigen Ausgaben das Cover dreidimensional gestalten. Das neue Buch wird anders, nicht unbedingt besser als „Antarctica“, aber anders.

Was folgt danach?

Wir würden gerne ein Buch über die Inseln des Südpazifiks verwirklichen. Als mein Mann in seinen Zwanzigern war, hat er mit drei Gefährten auf den Norfolk Inseln einen Trimaran gebaut und ist vier Jahre lang von den Marquise- über die Tuamotu- bis zu den Gesellschafts-Inseln gesegelt. Wir wollen dahin zurück und einen Band über dieses Gebiet machen. Die Karibik interessiert uns noch sehr. Außerdem waren wir vor einer Weile in Afrika, so haben wir auch Ideen für ein Buch über Afrika. Ein Ort an dem ich noch nie gewesen bin, ist der Amazonas. Ich würde sehr gerne in den Amazonas reisen und mit den Menschen dort Zeit verbringen und über sie lernen.

Sie sind ein Workaholic.

Das ist in der Tat ein Problem. Ich bin so dankbar, dass wir Kinder haben. Sie bringen uns zum lachen und wir müssen somit Dinge mit ihnen unternehmen und auf andere Gedanken kommen. Ansonsten würden wir wirklich nur arbeiten…

Fahren Sie eigentlich in Urlaub?

Nein. Für uns bedeuten Ferien, zu Hause zu bleiben. Ich träume davon, einmal jedem zu erzählen, dass wir weggefahren sind und wir bleiben dann einfach zu Hause und keiner weiß es.

Mrs. Keough, vielen Dank für das Gespräch.



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